von Quintus N. Sachs

Erst studierte ich Pädagogik, später einige Jahre Theologie. Dort hörte ich während einer Vorlesung den Professor behaupten, Katholiken sagen „ich habe meine Zweifel“, doch Protestanten sagen „ich habe meinen Zweifel“. Anscheinend kennen Protestanten nur eine Form des Zweifels. In alten Büchern kann man immer wieder lesen, dass viele gestorbene Katholiken genannt werden mit vor dem Namen den Hinweis „selige(r)“, „heilige(r)“. Auch die Liturgie, die bei den Orthodoxen Kirchen „göttlich“ genannt wird, heißt in alten Büchern „heilig“; heilige Messe. Seit Jahren vermute ich, dass ein Grund weshalb nach Vat II der Respekt von Katholiken für viele Inhalte der von Jesus Christus gegründeten Kirche verringert ist, dass wir seit Jahrzehnten dieses Wort vermeiden, ja fast vergessen haben. Heilige Schrift, Heilige Messe, Unsere Liebe Frau, Mutter Gottes Maria, Sankt Joseph, die heiligen Dreikönige – sie werden jetzt in einer lässigen Sprache bezeichnet als Bibel, Messe, Maria, Joseph, die Weisen.
Mein erstes Studium war an der Pädagogischen Akademie. Dort hatte ich Niederländisch als Hauptfach. Vermutlich ist so ein Studium genau wie Germanistik – nur auf Niederländisch. Man liest, spricht und schreibt niederländisch, studiert mittel- und altniederländische Literatur, und eines Tages ist das Thema: Meta-Sprache. Das ist, wenn man nicht nur die Sprache spricht, sondern über die Sprache spricht, also die Sprache als Objekt seziert. Diese Seminare fand ich sehr interessant. Mein Vokabular wurde jeden Tag um einige Dutzend Worte und Fachbegriffe größer, mein Referenzrahmen wurde explosiv vergrößert, mein Verständnis von und meine Sicht auf Sprache(n) erhielten metaphysische Wachstumshormone.
Eines der schönsten Neuigkeiten in diesem Studium fand ich die Möglichkeit, Sprachen anders einzuteilen als nur nach Nationalitäten, Regionen, Städte – schlicht geographisch. Es gab nicht nur Sprachen, Regiolekte, (Stadt-)Dialekte. Auch innerhalb verschiedener sozialen Schichten kann man eine andere Sprache aufweisen. Bildungsferne Schichten haben einen geringeren Wortschatz als bildungsnahe Schichten. Handwerker und ihre Umwelt haben viele Wörter die Geisteswissenschaftler nicht kennen, und umgekehrt. Die Ausprägung der Sprache wird demgemäß teilbestimmt von dem beruflichen Werdegang, dem Wohnort, der Region, dem sozialen Umgang, und andere Faktoren.
In den Niederlanden war, spätestens seit er im 16. Jahrhundert verboten worden war, der Katholizismus ein wichtiger Mitgestalter der Sprache. Seit dieser Zeit kamen die Katholiken zusammen in versteckten Kirchen, die sogenannte „Schuilkerken“. Eines der bekanntesten ist noch immer in Amsterdam, unter dem Namen „Onse-Lieve-Heer op Solder“ – unser lieber Herr auf dem Dachboden. Also unterstützten die Katholiken sich, indem sie sich abschotteten von den anderen Niederländern. Nachdem die Religionsfreiheit wieder Fakt war, verstärkte sich dieses Phänomen und wuchs aus zur Versäulung; jetzt wurde das ganze Leben katholisch; katholische Kirche, katholische Pfarrei, katholischer apologetischer Verein, katholische Übersetzung der Hl. Schrift, katholische Grundschule, katholisches Gymnasium, katholische Universität. Aber auch; katholischer Männerverein, katholische politische Partei, katholischer Frauenverein, katholischer Ärzteverein, katholische Krankenversicherung St. Liduina, katholische Arbeiterbewegung, katholischer Ziegenzüchtverein. Kein Witz, Fakt! Und die Protestanten zogen mit. Sogar in zwei Gruppen, die „Hervormden“ (weniger orthodox) und die „Gereformeerden“. Jedes größere Dorf mit einer gemischten Bevölkerung konnte vier Grundschulen haben, katholisch, hervormd, gereformeerd, und… openbaar – für die nicht-kirchlichen Kinder. Natürlich verkehrte man meist nur mit der eigenen – katholischen – Gruppe, feierte katholisch, heiratete katholisch, las katholisch, hörte katholisch, sprach katholisch.

Im Auto höre ich viele amerikanische Podcasts. Dort fällt mir auf, daß katholische Podcasts durchwachsen sind mit geflügelten Worten, die mir sehr katholisch in den Ohren klingen; (vermeintliche) Sprüche von Heiligen, Zitaten von G.K. Chesterton oder Erzbischof Fulton J. Sheen (für beide Herren läuft der Prozess zur Seligsprechung), Zitaten aus (katholischen) Filmen wie Boys Town, The Bells of Saint Mary’s, oder It’s a Wonderful Life. Viele amerikanische Podcaster sind sprachlich sehr reich an CathTalk. Nennen wir das mal einfach so; CathTalk. Kein Dialekt, kein Regiolekt, kein Soziolekt, einfach unser Ekklesiolekt.
Seit nunmehr fast zehn Jahren wohne und arbeite ich in Deutschland. CathTalk höre ich wenig. Wenn jemand einen akademischen Titel hat, soll das ja berücksichtigt werden; Herr Dr. So-und-so, Frau DDr. Dingsda, Prof. DDDr. Was-auch-immer. Oder Herr Studienrat, Frau Schulrätin, mein lieber Herr Gesangsverein! Und Genderisierung höre ich; „Schwestern und Brüdern“, „Katholikinnen und Katholiken“, „Frauen und Männer“, vor dem Segen sogar noch „ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag“, mit der pavlovschen Respons „Danke, gleichfalls!“
Habt ihr Deutschen denn keinen CathTalk?! Nachdem der Kirchenstreit „beigelegt“ wurde, sagen wir mal ganz hässlich, die Deutschkatholiken mit Kirchensteuern gekauft wurden, was ist da geblieben von dem deutschen CathTalk? Die coolen Sprüche des Löwen von Münster, wer verwendet sie noch? Wessen Sprache ist gewürzt mit Zeilen des Friedrichs von Spee? Wer zitiert Ida Friederike Görres, Adrienne von Speyr, Gertrud von le Fort? Ist der letzte Rest des deutschen CathTalk das bayrische „Grüß Gott“?
Auch im Deutschen ist ein cooler, selbstbewußter CathTalk möglich, davon bin ich überzeugt. Was würde geschehen, wenn jeder der diesen Artikel liest, seinen Sprachgebrauch bewusst katholifizieren würde? Wenn jeder dieses wunderbare Wort „heilig“, den Ehrentitel „Sankt“, wieder benutzen würde? Schließlich sprechen wir von der „Ehre der Altaren“. (Auch so ein katholischer Begriff.) Ich spinne den Faden mal weiter; was wäre, wenn wir, Katholiken in den deutschsprachigen Ländern, jeden Tag die hl. Schrift lesen würden, uns Sprüche merken würden, (schließlich können wir Katholiken einen Ablass bekommen für jeden Tag, an dem wir eine halbe Stunde aus der hl. Schrift lesen,) wenn wir daraus gar eine geistige Sportart machen würden? Haben die katholische „Deutscherinnen und Deutscher“ den Mumm, sich ihr Teil der Sprache selbst zu gestalten? Werde ich auf diesem Artikel im Kommentarbereich bald mehr als hundert Beispiele des deutschen CathTalk lesen können?
Heiliger Franz von Sales, Patron der Journalisten, Ehrwürdiger Diener Gottes Fulton J. Sheen, lieber Gilbert Keith Chesterton, bittet für uns. Möge eure Fürsprache dazu beitragen, daß unsere reiche deutsche Sprache immer mehr durchwachsen wird mit unserer katholischen Identität.
Na über 100 kann ich mir nicht vorstellen.
Heilig ’s Erdreich wird in unsrer Familie als Ausdruck des erstaunens verwendet. Dies mag am amt des totengrabers liegen welches bis zu meinem patenonkel in familienerbe ausgefüllt wurde.
Lieber Heinrich,
vielen lieben Dank für diesen ersten katholischen Ausdruck unter meinem Artikel. Eine der wenigen Äußerungen von CathTalk die ich auf Deutsch kenne, kommt aus dem 19. Jahrhundert, meiner Vermutungen nach. Der schönen Bilder wegen, drei Seiten dazu:
http://www.gbiu.de/03/Herrgott/herrgo.htm
http://www.kreuzstein.eu/html/body_bad_bentheim.html
http://www.suehnekreuz.de/nieder/bentheim.htm
Ich kenne als Kraftausdruck meiner Frau, und nur von meiner Frau, den Satz „Herrgott von Bentheim!“ Weil dieses Sandsteinkreuz im Jahre 1828 wiedergefunden wurde, gehe ich davon aus, daß der Ausdruck nicht älter sein kann. Aber… wie kommt man hier im Niederrhein an diesen Ausdruck aus der Grafschaft Bentheim? Ich komme von kurz nördlich der Grafschaft, und hatte diesen Ausdruck noch nie gehört.