Vertrauensvolle Hingabe an die göttliche Vorsehung
„Alles, was geschieht, geschieht unter den Augen Gottes.“ Diese Überzeugung steht im Zentrum der geistlichen Schrift Trustful Surrender to Divine Providence – Vertrauensvolle Hingabe/Auslieferung an die göttliche Vorsehung (hier bestellbar) von Fr. Jean-Baptiste Saint-Jure und dem hl. Claude de la Colombière. Was auf den ersten Blick wie eine fromme Formel klingt, entfaltet sich bei genauerem Hinsehen als radikale Schule des Vertrauens. Denn wenn wirklich nichts dem Plan Gottes entgleitet, dann bedeutet das: Freude wie Leid, Glück wie Unglück, Heil wie Prüfung – alles ist Teil seines göttlichen Willens.
Für Johannes Vianney, den Pfarrer von Ars, gehörte Saint-Jure zu den wichtigsten geistlichen Autoren. Besonders wichtig war für ihn Saint-Jures Werk De la connaissance et de l’amour du Fils de Dieu („Von der Erkenntnis und Liebe des Sohnes Gottes“). Darin geht es – wie auch im später unter dem Titel Trustful Surrender to Divine Providence bekannten Text – um die Hingabe an die göttliche Vorsehung. Zeitzeugen berichten, dass Vianney Passagen aus Saint-Jures Schriften auswendig zitierte und in seinen Predigten oder Katechesen verarbeitete.
1. Gott lenkt alle Ereignisse, ob gut oder schlecht
Die erste Grundwahrheit der Vorsehung lautet: God controls all events, whether good or bad – Gott lenkt alle Ereignisse, ob gut oder schlecht. Diese Aussage stößt leicht auf Widerstand, weil sie unserem spontanen Empfinden widerspricht. Wir sehen Ungerechtigkeit, Katastrophen, Krankheiten und fragen: Soll das alles von Gott kommen? Und doch liegt genau hier der Schlüssel zum Frieden des Herzens.
„Nichts geschieht im Universum, ohne dass Gott es will und zulässt. Diese Aussage muss absolut auf alles bezogen werden, mit Ausnahme der Sünde. „Nichts geschieht zufällig im gesamten Verlauf unseres Lebens“, lautet die einhellige Lehre der Kirchenväter und Kirchenlehrer, „und Gott greift überall ein.” – Jean Baptiste Saint-Jure, S.J.
Die unvermeidliche Frage lautet: Wie kann Gott das Böse wollen oder zulassen? Die christliche Antwort ist klar: Gott will nie das Böse an sich, aber er erlaubt es, weil er es in sein Heilswirken einfügt. Der Sündenfall führte zur Erlösung durch Christus, das Kreuz wurde zum Werkzeug der Auferstehung. So wird auch in unserem Leben das Dunkel nicht aufgehoben, sondern verwandelt.
Saint-Jure und de la Colombière zeigen dies an praktischen Beispielen. Die Krankheit, die den Menschen schwächt, wird zur Quelle von Demut und Hingabe. Die Ungerechtigkeit, die uns verletzt, wird zum Anlass, Geduld und Barmherzigkeit zu üben. Der Verlust eines geliebten Menschen, der das Herz zerreißt, wird zur Einladung, die Hoffnung auf die ewige Heimat neu zu entdecken. Nichts davon ist Zufall, nichts ist sinnlos – alles trägt in sich die Möglichkeit der Heiligung.
2. Gott tut alles mit höchster Weisheit
Die zweite Grundwahrheit lautet: Gott tut alles mit höchster Weisheit. Wir sehen nur Bruchstücke, Gott aber sieht das Ganze. Er ordnet jedes Ereignis so, dass es dem Menschen zum Heil gereicht, auch wenn es in der Gegenwart unverständlich erscheint.
Darum gilt: Prüfungen und Strafen sind Segnungen Gottes und Beweise seiner Barmherzigkeit. Was uns wie eine harte Strafe vorkommt, ist in Wahrheit oft die heilende Medizin eines liebenden Vaters. Die Krankheit zwingt uns, langsamer zu werden. Der Misserfolg bricht unseren Stolz. Die Enttäuschung öffnet das Herz für die Gnade. So verwandelt sich das scheinbar Bittere in ein verborgenes Gut.
Besonders anschauliche Beispiele nennt Jean-Baptiste Saint-Jure selbst:
„Stellen wir uns unsere Verwirrung vor, wenn wir vor Gott erscheinen und die Gründe verstehen, warum Er uns die Kreuze schickte, die wir so unwillig annehmen. Der Tod eines Kindes wird dann als seine Rettung vor einem großen Übel gesehen werden, wenn es weitergelebt hätte; die Trennung von der Frau, die du liebst, als Mittel, dich vor einer unglücklichen Ehe zu bewahren; eine schwere Krankheit als Grund für viele weitere Lebensjahre; Geldverlust als Mittel, deine Seele vor ewigem Verlust zu retten. Warum also machen wir uns Sorgen? Gott sorgt für uns, und dennoch sind wir voller Angst! Wir vertrauen uns einem Arzt an, weil wir annehmen, dass er sein Geschäft versteht. Er ordnet eine Operation an, die das Entfernen eines Teiles unseres Körpers erfordert, und wir akzeptieren es. Wir sind ihm dankbar und bezahlen ihm ein hohes Honorar, weil wir urteilen, er würde nicht so handeln, wenn das Heilmittel nicht notwendig wäre, und wir müssen auf seine Kunst vertrauen. Dennoch sind wir nicht bereit, Gott auf die gleiche Weise zu behandeln! Es sieht so aus, als ob wir seiner Weisheit nicht trauen und Angst hätten, er könne seine Aufgabe nicht richtig erfüllen. Wir lassen es zu, dass ein Mensch an uns operiert, der leicht einen Fehler machen kann – einen Fehler, der uns das Leben kosten kann – und protestieren, wenn Gott an uns zu wirken beginnt.“
Und schließlich bleibt die tröstliche Zusage: Unsere Prüfungen sind niemals größer als unsere Kraft, sie zu tragen. Gott kennt unser Maß besser als wir selbst. Jede Last, die er zulässt, ist von seiner Gnade begleitet. Keine Prüfung ist sinnlos, keine Träne verloren, kein Kreuz zu schwer für den, der es im Vertrauen auf Gott trägt.
In einer Zeit, die von Unsicherheit und Angst geprägt ist, wirkt diese Lehre wie ein Gegenentwurf zur modernen Unruhe. Die Welt sagt: Dein Leben hängt an Zufällen und Umständen. Die Vorsehung sagt: Dein Leben liegt in Gottes Hand. Wer das annimmt, lebt nicht länger getrieben von Furcht, sondern getragen von Vertrauen.
Saint-Jure und de la Colombière rufen dazu auf, dieses Vertrauen nicht nur in den großen Katastrophen, sondern im Alltag zu üben – im verpassten Zug, in der kleinen Kränkung, in der Müdigkeit eines langen Tages. Wer auch hier lernt zu sagen: „Herr, Dein Wille geschehe“, wird frei von Bitterkeit und offen für den Frieden, den nur Gott schenken kann.
Hingabe an die göttliche Vorsehung ist kein Rückzug aus dem Leben, sondern die tiefste Bejahung desselben. Alles, was uns begegnet, wird zum Weg – und dieser Weg führt, wenn wir vertrauen, unweigerlich zu Gott.